Covid-19-Immunisierung Was die 253 anerkannten Impfschäden bedeuten

Spritze mit Coronaimpfstoff: Etwa 65 Millionen Menschen in Deutschland wurden mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft
Foto: Sean Gallup / Getty Images»Keine Wirkung ohne Nebenwirkung« ist eine häufig zitierte Faustregel in der Medizin. Das gilt auch für die in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19. Treten nach der Impfung gesundheitliche Schäden auf, steht den Betroffenen eine Kompensation zu, so steht es im Infektionsschutzgesetz .
Laut einem Bericht der »Welt am Sonntag« sind bislang 253 Anträge auf eine Entschädigung wegen schwerer unerwünschter Nebenwirkungen der Coronaimpfung bewilligt worden. Was sind das für Fälle und was steht den Betroffenen zu? Der Überblick.
Wie werden Nebenwirkungen in Deutschland erfasst?
Jeder und jede Geimpfte kann sich bei möglichen Nebenwirkungen an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) wenden , das für die Erfassung zudem die App SafeVac 2.0 entwickelt hat. Außerdem haben Ärztinnen und Ärzte die Pflicht, etwaige Nebenwirkungen zu melden. Das PEI hat laut dem zuletzt veröffentlichten Sicherheitsbericht 333.492 Verdachtsfälle für Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung registriert.
Welche Nebenwirkungen sind bekannt?
Die meisten bekannten Nebenwirkungen wie Schmerzen an der Injektionsstelle klingen schnell ab. Die bedeutendsten, sehr seltenen schwerwiegenden Nebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen von Biontech und Moderna sind laut PEI Entzündungen des Herzmuskels und des Herzbeutels. Besonders betroffen seien junge Männer und männliche Jugendliche. Die Fälle traten bei dem Impfstoff von Moderna laut Untersuchungen häufiger auf, weshalb für jüngere Männer der Impfstoff von Biontech empfohlen wird. Eine Nebenwirkung gilt als sehr selten, wenn sie bei 10.000 Impfungen höchstens einmal auftritt.
Bei den Coronaimpfstoffen von AstraZeneca und Johnson & Johnson gab es zudem einzelne Fälle des Guillain-Barré-Syndroms. Das ist eine Nervenerkrankung, die oft mit Kribbeln und Taubheitsgefühl beginnt und zu Muskelschwäche und Lähmungserscheinungen führen kann. Eine Liste weiterer möglicher Nebenwirkungen des PEI finden Sie hier .
Zudem wird eine Reihe diffuser Symptome wie Müdigkeit oder Kopfschmerzen diskutiert , die im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftreten können, aber nicht eindeutig auf die Impfung zurückzuführen sind. Betroffene nennen sie »Post-Vac-Syndrom«, angelehnt an das Post-Covid-Syndrom nach einer Infektion.
Die beschriebenen Symptome sind auffallend ähnlich: kognitive und neurologische Störungen, Herz-Kreislauf-Probleme, bleierne Müdigkeit, Kopfschmerzen. Das PEI hat diese Symptome geprüft, sieht aber laut Sicherheitsbericht weiterhin kein Risikosignal. Zwei Unikliniken in Deutschland nehmen derzeit Verdachtsfälle auf, die nach ihrer Coronaimpfung unerklärliche Symptome entwickelt haben, die Charité in Berlin und die Uniklinik in Marburg .
Wann gibt es Entschädigung?
Ob jemandem eine Entschädigung zusteht, entscheidet nicht das PEI, sondern das Versorgungsamt des jeweiligen Bundeslands. Gezahlt wird in der Regel nur bei Komplikationen, die »längerfristig eine gesundheitliche oder wirtschaftliche Folge darstellen«, heißt es von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Die örtliche Zuständigkeit können die Bundesländer selbst festlegen. In Berlin ist etwa das Landesamt für Gesundheit und Soziales zuständig, in Bayern das Zentrum Bayern für Familie und Soziales. Geprüft wird dann, ob der gesundheitliche Schaden durch die Impfung verursacht wurde. Je nachdem wie groß der gesundheitliche Schaden ist, stehen den Betroffenen etwa Rentenzahlungen, Heilbehandlungen oder Hinterbliebenenversorgung zu.
Welche Schäden wurden anerkannt?
Laut »Welt am Sonntag« gehören zu den anerkannten Impfschäden Herzmuskelentzündungen, Sinusvenenthrombosen und das Guillain-Barré-Syndrom. Das deckt sich in etwa mit vorherigen Abfragen bei den Bundesländern. Sinusvenenthrombosen, bei der bestimmte Blutgefäße im Gehirn verstopfen, wurden gerade nach Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca beobachtet. Vereinzelt wurden nach Angaben der »Welt am Sonntag« auch Todesfälle durch die Impfung anerkannt.
Wie häufig werden Anträge auf Impfschäden gestellt?
Gemessen an der Zahl der verabreichten Dosen sind Anträge für die Anerkennung von Impfschäden selten. In Deutschland sind bis Anfang des Jahres nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) rund 192 Millionen Coronaimpfungen gegeben worden. Rund 65 Millionen Menschen wurden mindestens einmal geimpft.
Die meisten Anträge wurden in den bevölkerungsstärksten Bundesländern Bayern mit 61 und Nordrhein-Westfalen mit 38 bewilligt, in Bremen wurde dagegen bisher kein Impfschaden nach einer Covid-19-Impfung anerkannt.
Insgesamt wird nur ein Bruchteil der Anträge bewilligt. 1808 Anträge haben die Länder den Angaben zufolge abgelehnt. Derzeit seien noch 3968 Anträge bei den Ländern in Bearbeitung, weitere könnten folgen.
Was bedeutet das für die Sicherheit der Impfstoffe?
Die Entscheidung über Entschädigungen hat keinen direkten Einfluss auf die Sicherheitsbewertung der Impfstoffe. Die obliegt weiterhin den zuständigen Gesundheitsbehörden. In Europa prüft etwa die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) kontinuierlich die Sicherheit der zugelassenen Impfstoffe, auch nach der Zulassung.
Ein entscheidendes Instrument ist die sogenannte Observed-versus-Expected-Analyse, was auf Deutsch in etwa so viel heißt wie Beobachtet-gegen-Erwartet-Analyse. Dahinter steckt folgende Überlegung: Inzwischen sind bereits Millionen Menschen in Deutschland gegen Covid-19 geimpft worden. Dass bei einer so großen Zahl von Menschen zufällig Krankheiten auftreten, ist nicht überraschend. Entscheidend ist jedoch: Häuft sich eine bestimmte Erkrankung bei Geimpften auffällig?
Stellen Expertinnen und Experten eine Häufung fest, gilt die mögliche Komplikation als Sicherheitssignal. Als Konsequenz können etwa die Empfehlungen angepasst werden. So hatte die Ema eine Verbindung zwischen der AstraZeneca-Impfung und Thrombosen erkannt. Der Impfstoff wurde daraufhin nur noch für Menschen über 60 Jahre empfohlen.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Textes wurde eine falsche Quelle für die Umfrage bei den Versorgungsämtern der Länder angegeben. Wir haben den Fehler korrigiert.